Schweiz
Gesellschaft & Politik

Machtdemonstration von SVP und FDP – was das fürs Wahljahr 2023 heisst

SVP Praesident Marco Chiesa, TI, links, diskutiert mit dem designierten FDP Praesident, Thierry Burkart, AG, an der Herbstsession der Eidgenoessischen Raete, am Montag, 13. September 2021 im Staendera ...
Rücken fallweise näher zusammen: SVP-Präsident Marco Chiesa, links, und FDP-Präsident Thierry Burkart im Ständerat.Bild: keystone

«Das ist eine konservative Revolte» – Machtdemonstration von SVP und FDP

Die Zuteilung der Departemente war eine gut vorbereitete Aktion von SVP und FDP. Das ist ein Indiz dafür, dass die beiden Parteien enger zusammenrücken, um ihre Ansprüche durchzusetzen. Bereits ist von einer «konservativen Revolte» die Rede.
10.12.2022, 21:0112.01.2023, 14:47
Christoph Bernet, Stefan Bühler / ch media
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Mit der Abstimmung über den EWR endete vor exakt 30 Jahren die bürgerliche Geschlossenheit, dank der FDP, CVP und SVP über Jahrzehnte die Macht im Land kontrollierten. Wegen der Daueropposition der SVP in der Europapolitik waren FDP und CVP, heute Mitte, seither immer wieder auf Allianzen mit der SP angewiesen. Doch der Wunsch, zu alten Verhältnissen zurückzukehren, ist nie erloschen.

Am deutlichsten zeigte sich das Anfang 2015: Da machte die Idee eines «Freisinns blocherscher Prägung» die Runde. Im März 2015 kam es zum sogenannten bürgerlichen Schulterschluss, einer wirtschafts- und finanzpolitischen Absichtserklärung der Parteichefs von CVP, FDP und SVP - die freilich bereits wenige Monate später scheiterte. Die SVP stieg aus.

Doch nun, am Donnerstagnachmittag, haben die zwei rechtsbürgerlichen Kräfte wieder einmal ihre Muskeln spielen lassen: Im neu konstituierten Bundesrat setzten sie ihre Wünsche durch, schanzten FDP-Magistratin Karin Keller-Sutter das Finanz- und dem Neuling der SVP, Bundesrat Albert Rösti, das Umwelt- und Verkehrsdepartement zu. Da fragt sich: Ist das die Auferstehung des bürgerlichen Schulterschlusses?

Ein Schulterschluss der Macht, nicht der Inhalte

Politikwissenschafter Lukas Golder, Co-Leiter des Forschungsinstituts GFS Bern, wählt deutliche Worte: «Das ist eine konservative Revolte im Rahmen des Konkordanzsystems.» Es gebe klare Hinweise für intensive Absprachen zwischen den Bundesratsmitgliedern von FDP und SVP und ihren Parteileitungen. Die rechtsbürgerlichen Kräfte seien durchaus Schulter an Schulter zur Sache geschritten, sagt Golder. Um sofort anzufügen: «Der Schulterschluss funktioniert gut, wenn es um die Macht geht. Er ist viel schwieriger zu bewerkstelligen, wenn es um Inhalte geht.»

Lukas Golder vom GFS Bern spricht an einem Hintergrundgespraech zu einer CVP-Analyse, am Montag, 29. Juni 2020, in Bern. Die Partreileitung liess eine Analyse durchfuehren und wird mit der Basis und d ...
Lukas Golder.Bild: keystone

Anders ausgedrückt: Nur weil sich FDP und SVP gegenseitig dabei geholfen haben, im Bundesrat ihre Wunschdepartemente zu erhalten, regieren die beiden Parteien jetzt nicht bis zu den nächsten Wahlen durch.

FDP-Parteichef Thierry Burkart sagt: «Wir haben am Donnerstag keine Machtdemonstration von FDP und SVP gesehen.» Er verweist darauf, dass sich der Bundesrat im Konsens auf die Verteilung der Departemente geeinigt hat. Der Aargauer Ständerat geht davon aus, dass sowohl Alain Berset (SP) als auch Viola Amherd (Mitte) das Umwelt- und Energiedepartement Uvek hätten haben können, wenn sie gewollt hätten.

Einen Schulterschluss mit der SVP, um Rösti das Uvek zuzuschanzen, habe es nicht gegeben. «Die FDP hat ein eigenständiges Profil und unterscheidet sich in zahlreichen zentralen Themen deutlich von der SVP», sagt Burkart. Etwa im EU-Dossier oder bei neutralitätspolitischen Fragen zu Sanktionen oder Waffenausfuhren. Natürlich gebe es auch Schnittmengen mit der SVP, etwa bei der Steuer- und Wirtschaftspolitik. Dort lote man Möglichkeiten für Kompromisse im Interesse der Schweiz aus. Aber das tue man mit allen Parteien, sofern inhaltliche Anknüpfungspunkte existierten.

Seine Partei tausche sich regelmässig mit der FDP aus, sagt SVP-Parteichef Marco Chiesa. Man arbeite eng zusammen, um für die Einhaltung der Schuldenbremse zu sorgen, neue Steuern zu verhindern und das Ausgabenwachstum beim Staat zu bremsen. Aber von einem bürgerlichen Schulterschluss will auch Chiesa nichts wissen: «Wir müssen realistisch sein. Konkordanz heisst, dass die grössten Parteien gemäss ihrer Stärke im Bundesrat vertreten sind. Das ist keine Koalition mit klaren Vereinbarungen.» Die Parteien politisierten eigenständig.

Polarisierung schadet der Konkordanz, mobilisiert aber die Wählerschaft

Politikwissenschafter Golder hingegen sieht durchaus auch inhaltliche Überlegungen hinter der Annäherung von FDP und SVP. Gerade in der Energiepolitik gebe es einen «konservativen Gestaltungswillen, die Energiestrategie des Bundesrats neu auszurichten». Deshalb sei die Übernahme des Uvek durch den neuen SVP-Bundesrat bedeutend. Das rechtsbürgerliche Lager sei sich einig darin, dass es in der Schweiz neue Grosskraftwerke brauche und sei gegenüber allen Technologien offener.

Es gebe mit der SVP zwar den Konsens, dass es Korrekturen an der Energiestrategie brauche, sagt FDP-Präsident Thierry Burkart dazu. Aber über langfristige Lösungen herrsche unter den Parteien keine Einigkeit. Eine Lösung, die nur von FDP und SVP getragen werde, sei zum Scheitern verdammt, auch mit einem Energieminister Albert Rösti: «Die Energieversorgung ist eine riesige Herausforderung, bei welcher Bundesrat und Parlament die klare Unterstützung der Bevölkerung brauchen.»

Lukas Golder vermutet hinter der Departementsverteilung indes auch strategisches Kalkül der Rechtsbürgerlichen: Bei grossen innenpolitischen Herausforderungen wie Gesundheitskosten, Sozialwerke, Migration überlasse man den Lead den SP-Bundesratsmitgliedern: «Hier halten sich FDP und SVP die Option offen, jederzeit Oppositionspolitik zu betreiben.»

Damit nehmen die beiden Parteien laut Golder eine noch stärkere Polarisierung in Kauf, die langfristig der Konkordanz schade. Doch kurzfristig könnten sie bei den Wahlen 2023 davon profitieren. «Wegen der internationalen Entwicklung gewinnen Themen wie die Wirtschaftslage, Energieversorgung und Versorgungssicherheit an Bedeutung», sagt Golder. «Spielen SVP und FDP hier einen aktiven Part, könnten sie damit die eigene Wählerschaft mobilisieren.» Allerdings droht ein Bumerangeffekt: «Gleichzeitig verärgert die rechtsbürgerliche Machtpolitik die rot-grüne Anhängerschaft und könnte diese so stark mobilisieren.» Das haben die Grünen begriffen, wie ein Tweet von Donnerstag zeigt, in dem sie Rösti frontal als «Ölbaron» angreifen. (bzbasel.ch)

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124 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Eisvogel
10.12.2022 22:29registriert Februar 2019
Kaum zu glauben, aber es gibt immer noch Leute, die überzeugt sind, dass FDP & SVP sich für das Wohl der Menschen in diesem Land einsetzen.
Eine Korrektur dieser rechrsbürgerlichen Dominanz wäre 2023 möglich. Auch wenn wir alle wissen, dass durch Wahlen nicht sooo viel verändert wird - geht wählen! Und sei's nur, damit es nicht noch schlimmer kommt.
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D0M
10.12.2022 22:00registriert Oktober 2016
Spielchen anstatt Lösungen. Was für ein armseliger Haufen.
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Clife
10.12.2022 21:23registriert Juni 2018
Sobald dann beide an der Macht wären, geht es zurück zum alten Krieg. Weder der FDP noch der SVP traue ich auch noch Ansatzweise. Die haben Kooperation und Vernunft nicht gelernt und kennen nur das Machtspiel. Ich hoffe, dass wirklich viele nächstes Jahr wählen gehen…
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